Sinding-Larsen: The burden of the ceremony master

Cover
Titel
The burden of the ceremony master: Image and action in San Marco, Venice, and in an islamic mosque. The Rituum Cerimoniale of 1564


Autor(en)
Sinding-Larsen, Staale
Reihe
Acta ad archaeologiam et artium historia pertinentia 12
Anzahl Seiten
XIV + 353 S., 12 Abb.
Preis
€ 113,62
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ruth Schilling, Institut für Geschichtswissenschaften der HU Berlin

Staale Sinding-Larsen ist durch Studien zur religiösen Ikonographie des venezianischen Dogenpalastes bekannt geworden 1. In "The Burden of the Ceremony Master" beschäftigt er sich mit der venezianischen 'Staatskirche' und einer Quelle, die für die Kenntnis der Liturgie des 16. Jahrhunderts in San Marco überaus bedeutend ist, dem "Rituum Cerimoniale": Dieses Handbuch wurde 1564 von dem damaligen Zeremonienmeister zu seiner eigenen Benutzung und für die Nachfolger verfasst. Es skizziert den genauen liturgischen Ablauf. In fortlaufenden Kommentaren stellt der Verfasser Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum römischen Ritus fest. Es ist ein großes Verdienst Sinding-Larsens, dass diese vorher nur archivalisch zugängliche Quelle dank ihrer Transkription und Publikation im Anhang des Buches nun einem breiteren Publikum zugänglich ist. Diese Quelle stellt zusammen mit dem Kircheninnenraum San Marcos und der Madonna Nicopeia, einem in San Marco befindlichen Kultbildnis, die Grundlage der Untersuchung des Zusammenspiels von Ikonographie, Liturgie und Architektur dar.

"The Burden of the Ceremony Master" gliedert sich in fünf Hauptkapitel: Das erste spannt unter dem Titel " Facing Complexity" den theoretischen Rahmen für Sinding-Larsens Analyse. Der darauf folgende Teil stellt in sehr konziser und anschaulicher Weise das Aufgaben - und Aktionsfeld des Zeremonienmeisters vor. In Teil 3 vergleicht der Verfasser das Verhältnis einer bestimmten bildlichen Richtung von Gottesvorstellungen in der Liturgie im venezianischen Ritual in San Marco und in den entsprechenden Abschnitten aus dem Koran und verschiedenen ahâdîth (schriftlich festgelegte Traditionen). Er konzentriert sich insbesondere darauf, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Beziehungen zwischen Bildlichkeit und Ritual anhand der jeweiligen Epiphanievorstellungen zu untersuchen. Im vierten Teil baut er ausgehend von einer Analyse des "media interplay" im liturgischen Handlungsablauf eine allgemeine Bildtheorie auf, die er mit Ansätzen zur theoretischen Erfassung von Wahrnehmungsmechanismen insbesondere der Gehirnforschung verbindet. Er möchte in dieser Theorie die jeweilige Interaktion des Betrachters mit dem Kunstwerk in Verbindung mit der jeweiligen Rezeption des Kunstwerks setzen und unterscheidet sich damit erheblich von anderen, zum Beispiel rein ikonologischen Ansätzen bei der Bildinterpretation.

Aus dieser knappen Inhaltsübersicht wird deutlich, dass es Sinding-Larsen nicht darum geht, eine detaillierte Quellenedition und -analyse des Rituum cerimoniale in eine möglichst umfassende Beschreibung venezianischer Rituale in San Marco oder in den Rahmen römischer Liturgie einzuordnen. Daher spielt der spezifisch historisch-politische Hintergrund der Entstehung seiner Hauptquelle für ihn bei der Analyse auch im Sinne einer Oberflächenuntersuchung keine Rolle. In diesem Punkt unterschied sich schon seine Untersuchung der im Dogenpalast befindlichen Gemälde von der Wolfgang Wolters, der die Interpretation der Bildwerke stark auf den zeitpolitischen Hintergrund ihrer Entstehung bezieht und somit Staale Sinding-Larsen zufolge entscheidende Grundstrukturen der Bildwahrnehmung nicht erkennt und mit der Interpretation an der Oberfläche bleibt 2. Wolters Herangehensweise kommt dem Historiker auf der Suche nach Bildquellen auf den ersten Blick mehr entgegen, während die Sichtweise Staale Sinding-Larsens zu einer tiefergehenden Beschäftigung mit diesen Quellen führt. So befällt den Historiker auch ein gewisses Unbehagen, wenn Sinding-Larsen im dritten Kapitel den venezianischen Befund mit dem Verhältnis zu Ikonographie, Architektur und Ritual im Islam vergleicht, da es sich hierin um gänzlich verschiedene historisch-politische Entstehungssituationen der jeweiligen Quellen handelt. Die beiden Untersuchungsbeispiele unterscheiden sich außerdem auch dadurch, dass ein spezifisches Beispiel (Venedig) einem allgemein gefassten Untersuchungsfeld entgegengestellt wird. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich allerdings durch das theoretische Anliegen Staale Sinding-Larsens, verschiedene Modelle für die Interaktion von Zeit, Raum und Ort im Ritual zu entwickeln. Der Vergleich venezianischer und islamischer Quellen dient ihm dazu, Besonderheiten der venezianisch-christlichen Liturgie und Bildsprache herauszuarbeiten, nämlich die Personalisierung und damit Funktionalisierbarkeit bestimmter religiöser Vorstellungen, die durch die Ablehnung bildlicher Vorstellungen im Islam laut Sinding-Larsen so nicht möglich waren.

Das Buch richtet sich in seinem theoretischen Impetus an Kunsthistoriker, denen zugleich auch seine schärfste Kritik gilt. Hier wären einige Kürzungen nötig gewesen, da er sich in einigen Exkursen doch zu sehr in Diskussionen und auch relativ persönlich gehaltenen Bemerkungen ergeht, die einem Nichteingeweihten eher fremd bleiben. Auf einer allgemeineren Ebene möchte Sinding-Larsen aber nicht nur die Kunstgeschichte von ihrem Theoriedefizit befreien und eine neue Methode der Bildinterpretation entwickeln, sondern das Wechselverhältnis von Wahrnehmung, Zeit, Raum und Kunstwerk beschreiben.
Seine Analysen venezianischer Bild- und Bauwerke sind hervorragende Beispiele für die Fruchtbarkeit dieser Herangehensweise, da sie die zugrundeliegenden christlichen Wahrnehmungsmuster und die bedeutende Rolle der Liturgie herausarbeiten. Sie sind also für jeden Nicht-Kunsthistoriker wichtig, der mittelalterliche oder frühneuzeitliche Bilder oder Bauwerke als Quellen benutzen möchte.

Staale Sinding-Larsen erfasst die Komplexität der Beziehungen der Personen zum Kunstwerk im religiösen Raum in seinem Buch in verschiedenen Modellen, die den Vorteil haben, dass sie vielschichtigere Bezüge herstellen und untereinander zulassen, als es in einer rein durch Text gestützten Argumentation möglich wäre. Insbesondere die situative Veränderbarkeit kann so gut erfasst werden. Wie schon in seinem Buch "Christ in the Council Hall" gelingt es ihm, durch die dauernde Beobachtung des Interaktionsfeldes Raum, Zeit und Bildwerk sehr viel vielschichtigere Interpretationen des jeweiligen Vorstellungsrahmens und der Bildwerke zu geben, als es andere Deutungen gerade des venezianischen Befundes vermögen. Seine Methode bewahrt somit auch vor zu schnellen Schlüssen bei der ikonologischen Interpretation der jeweiligen Bilder, indem sie den Sinn dafür schärft, dass es nicht genügt, allein die bildliche Darstellung historisch-politisch zu interpretieren, sondern dass man zu einer angemessenen Analyse der jeweils zeitgebundenen Wahrnehmung nur durch eine Betrachtung des Verhältnisses von Bild, Raum und Zeit gelangen kann. Im Schlussteil bestreitet Sinding-Larsen überhaupt die Möglichkeit, das Kunstwerk ohne das jeweilige situationale Umfeld zu betrachten, was natürlich in gewissem Sinne eine Kampfansage an viele kunsthistorische Herangehensweisen darstellt.

In formaler Hinsicht ist das Buch ausgesprochen großzügig gestaltet. Es ist allerdings bedauerlich, dass die Illustrationen, die in der Argumentation eine wichtige Rolle spielen, nicht in den Text selbst integriert, sondern als Anhang mit Abbildungen eher mittelmäßiger Qualität beigefügt wurden. "

The Burden of the Ceremony Master" kann jedem wärmstens zur Lektüre empfohlen werden, der sich mit der Problematik der Interpretation von Architektur, Ritual und Bildwerken als Quellen in Mittelalter und Früher Neuzeit befasst.

1 Sinding-Larsen, St., Christ in the Council Hall. Studies in the religious iconography of the Venetian Republic, Rom 1974 (= Institutum romanum Norvegiae Acta 5).
2 Wolters, W., Der Bilderschmuck des Dogenpalastes. Untersuchungen zur Selbstdarstellung der Republik Venedig im 16. Jahrhundert, Wiesbaden 1983; vgl. zur Auseinandersetzung Sinding-Larsens mit dem methodischen Vorgehen Wolfgang Wolters: Sinding-Larsen, Burden of the Ceremony Master, 28.

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